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Organisation und Führung anders gedacht & gemacht

Auf der Suche nach neuen Wegen von Organisation und Führung (verstanden als 2 Seiten einer Medaille), die die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, die zunehmende Komplexität von Märkten und Dynamiken und nicht zuletzt die Erwartungen und Sinnvorstellungen und –entwürfen von MitarbeiterInnen an die Arbeit, deren Rolle(n) und Kooperationsformen mehr entspricht als die vielfältig bestehenden Organisationsmodelle, bin ich auf das Buch Reinventing Organizations von Frederic Laloux (2015) gestoßen. Anhaltspunkte für eine sich veränderende Arbeitswelt und auch speziell zu Führung gibt es einige. Während die Führung von gestern für viele Organisationen nicht mehr funktioniert, scheinen neue Führungsmodelle bisher teilweise noch zu vage. 500 Führungskräfte haben im September 2015 im Bundesworkshop “Gute Führung“, der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit und der nextpractice GmbH durchgeführt wurde, viele Fragen der Führung diskutiert. Dabei wird vor allem eines deutlich: das es keine eindeutiges Funktionsbild von Führung mehr gibt, die dem Rechnung tragen, was eine globalisierte Wirtschaft fordert.

Laloux hat Organisationen aus dem for-profil und non-profit Bereich untersucht und in seinen Fallbeispielen ein Organisationsmodell skizziert udn extrahiert, in dem Selbstmanagement und kompetenzbasierte Hierarchie das Zentrum bilden. Jeder Mitarbeiter kann grundsätzlich jede Entscheidung treffen, von Investionen, Projektarbeiten bis hin zur Höhe des Gehaltes, ohne wie herkömmlich mit einem klassischen Chef und Managern. Das klingt nun wahrscheinlich sozialromantisch und nach Kuschelkurs, aber weit gefehlt. Die untersuchten Unternehmen nehmen nicht nur erfolgreich am Markt teil und sind dort ausserordentlich erfolgreich (siehe etwa Morning Star (Nahrungsmittelproduktion), FAVI (Metallverarbeitung) oder Buurtzorg (Gesundheitswesen), sondern es gelingt ihnen auch, in preissensiblen Segmenten dauerhaft erfolgreich zu sein sein und sich in Märkten zu behaupten, in denen sie eigentlich – nach gängiger Makroanalyse – gar nicht erfolgreich sein dürften. Die Umsetzung dieser neuen Formen ist keine Frage der Größe, des Marktes auf dem man spielt oder des Wettbewerbsdrucks. Und es ist auch kein aus der Start-Up-Szene funktionierendes Modell, was nun weitere Kreise zieht. Es ist auch keine egalitäre und hierarchielose Organisation, wie man in einer schnellen Reaktion vermuten könnte. Auch ist dies keine Organisationsform, die sich in ewigen Schleifen konsensorientiert agiert. Es ist ein voraussetzungsvolles Organisationsmodell, was neue und andere Kompetenzen auf Seiten der Spieler bedarf. Ob man Laloux spirituellen, auf eine Evoluation des menschlichen Bewusstseins ausgerichteten Rahmen folgen möchte oder nicht sei dahingestellt- und manch einem ist dies vielleicht suspekt – aber die neuartigen evolutionäre-integralen Prinzipien zeichnen ein hoffnungsvolles Bild für die Lösung der Probleme, in denen die traditionellen und modernen Organisationsformen den vielfältigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Und er stellt mit seiner Untersuchung in Frage, ob die Antwort auf unternehmensspezifische Komplexität und Arbeitsteilung wirklich immer die Etablierung von (klassischen) Hierarchien und Management sein muss.

Distribuierte, kompetenzbasierte Führung kann nur funktionieren, wenn Mitarbeiter zugleich hochgradig eigenverantwortlich agieren können, als auch einen ausgeprägten Wir-Sinn im Sinne des Unternehmens haben. Das setzt auf Seiten der Akteuer/MitarbeiterInnen einges voraus und ist ein Paradigmenwechsel zu den traditionellen und modernen Modellen. Und es setzt Vertrauen voraus- in sich selbst und in die Mitspieler/Kollegen und in die Organisation. Kerngedanke ist, dass die Organisation in selbstorganisierten Einheiten, sprich Teams selbstorganisiert handelt. Es gibt keine klassichen Supportunktionen wie etwas HR oder Marketing. Die Entscheidungsfunktion von Managementrollen wird ebenso in die selbstorganisations- und teamstrukturen überführt, was die Rolle von Abteilungs- und Bereichsleitern überflüssige macht. Denn es liegt in der Hand dieser vielen einzelnen Teams in Organisationen ihren Beitrag zu leisten und zu verantworten. Da Entscheiden die Kernaufgabe von Organisation ist (Luhmann), lohnt es sich einen kurzen Blick darauf werfen, wie dies in diesen Organisationen gehandhabt wird. Entscheidungsfindung wird in einem Beratungsprozess prozessiert. Jeder Mitarbeiter kann jede Entscheidung treffen, muss sich aber Rat von den beteiligten Mitarbeitern und Experten für dieses Thema was es zu entscheiden gilt einholen. Der Mitarbeiter ist dann aber nicht verpflichtet, jeden Ratschlag anzunehmen oder seine Zeit in innenpolitischer Kompromissbildung zu investieren. Aber der Mitarbeiter muss sich Rat suchen und gründlich darüber nachdenken. Die Mitarbeiter haben die Freiheit, Möglichkeiten zu ergreifen und Entscheidungen zu treffen, wenn sie die Stimmen der anderen berücksichtigen. Dieser Prozess ist entscheidend, um Selbstführung zu ermöglichen und Organisationen funktionsfähig zu halten. Das klingt aus einer traditionellen Perspektive oftmals zu “risikoreich”.

Diese Form der Selbstführung und Selbstorganisation führt Wirtschaften dahin, wo es hingehört: zum Kunden. Management funktioniert hier nicht als hierarchischer Selbstzweck, der nur Experten oder speziell ausgebildeten Fachfunktionen vorbehalten ist. Verfolgt man die hier skizzierten Ansätze dann wird Managementexpertise ein Kompetenzfeld unter vielen, das Mitarbeiter besetzen können. Dieses Kompetenzfeld – und ob man es beherrscht –beweist sich am Geschäftserfolg, und nicht durch Status, Priviliegien und spezielle Benefits. Es bleibt abzuwarten, ob es diesem flexiblen, atmenden und auf Vertrauen beruhenden Steuerungsformaten gelingen wird, sich in Zukunft weiter zu verbreiten. Fest steht jedoch, dass man hier fündig wird, wenn man daran interessiert ist, Wirtschaft, Unternehmen und die Beschaffenheit menschlichen Strebens nach Ganzheit, Sinn und Integration zusammenzuführen. Dieser Perspektive kann inspirieren und teilweise neue Antworten für das Geschäft und die Entscheidungsprozesse liefern.